Philosophie: "...zur Sicht"
Zu Recht, denke ich, wird Marcel Prousts (1871-1922) Sicht der Sicht so häufig zitiert: "Die eigentlichen Entdeckungsreisen bestehen nicht im Kennen lernen neuer Landstriche, sondern darin, etwas mit anderen Augen zu sehen."
Schöne Zeit mit schöner Sicht? - oder Belle Époque
im 'Bellevue', 'Belvoir', 'Belvédère', 'Belvedere', 'Bellavista', 'Belvair'?
Mit den anderen Augen sind bestimmt nicht Kameraaugen gemeint, sondern unsere Fähigkeit und Bereitschaft, die Sache aus verschiedenen Blickwinkeln anzugehen. So könnte man sich z.B. fragen, ob die Belle Époque aus dem Blickwinkel der Dienerschaft eine so schöne Zeit war, weshalb die ersten elektrischen Lampen 1879 im Hotel Engadiner Kulm in St. Moritz und nicht in Zürich oder Genf installiert wurden, weshalb es seit den Plänen zur Erschliessung des Mont-Blanc-Gipfels mittels Personenlift 113 Jahre dauerte, bis die Jungfraubahn AG im 2008 auch so eine Lifterschliessung von Lauterbrunnen auf das Jungfrau-Joch prüfte. Man kann sich aber auch darüber wundern, dass Hoteliers um Montreux sich dermassen engagierten, in Leysin ein Lungensanatorium zu erstellen inklusive einer Bahnzufahrt, weshalb es denn in der guten alten Zeit um 1905 schon den Schweizer Heimatschutz brauchte und darüber nachdenken, weshalb in vielen Berichten oder Reiseführern zu lesen war, dass in dieser Schönen Epoche "Touristen in gewissen Gegenden aufs Unangenehmste von alten und jungen Bettlern verfolgt werden" (R. von Tavel), dass "unter allen Gestalten und Vorwänden Anläufe auf den Geldbeutel eines Reisenden genommen werden" (C. Baedecker) und ähnliches mehr.
Obwohl die Basis zum Tourismus in der Schweiz nicht erst um 1850 gelegt wurde, gibt ihm der Zeitraum von 1850 bis 1914 mit dem Übergang vom Luxustourismus des Adels zum organisierten bürgerlichen Tourismus den entscheidenden Schub und die entscheidenden Entwicklungen, deren Ergebnisse und Zeugen wir heute häufig sehen, manchmal auch nur noch Spuren oder Dokumente davon.
ALPGEHNUSS® richtet sein Auge wie die Touristen der Belle Époque auf "natürliche Merkwürdigkeiten" wie Eisgebirge, Gletscher, Wasserfälle, romantische Seeufer, Alphütten und hornblasende Älpler – aber nicht nur. Das andere Auge richtet sich auf gesellschaftliche und technische Faktoren, welche die Erschliessung des alpinen Raumes so ermöglichten oder begünstigten, wie sie real ablief, und der Zeit den Namen "Belle Époque" verliehen:
- Voraussetzungen (Dampftechnik, Elektrotechnik, Stahlindustrie)
- Treibenden Faktoren (Verkehrswesen, Arbeitsteilung, materielle Besserstellung)
- Diskrepanzen (Bürgertum, Adel, Lebensgenuss, Sorglosigkeit versus Industriearbeiter, Bauern, kleine Bedienstete).
Wir betrachten, begehen, geniessen oder erahnen infrastrukturelle Zeitzeugen wie Transportmittel, Gärten, Schluchten, Flanierwege, Aussichtspunkte, Hotelpaläste, Berghäuser, unvollendete Vorhaben, geplante aber nicht umgesetzte Ideen und Utopien, vollendete aber morbide Werke sowie inzwischen wieder verschwundene Bauten.
Erfahren leitet sich nicht zwangsläufig von 'fahren' ab, auch wenn der Genuss einer Zahnradbahnfahrt durchaus im Angebot sein kann. Es bedeutet vielmehr voralpines bis alpines Wandern auf eigenen Füssen den Zeitzeugen entlang, dazu kann eine genussvolle Übernachtung in einem romantischen Hotel mit Betten kommen, in welchen Goethe, Tolstoi oder Nietzsche es sich gut gehen liessen, oder eine Tafel mit schwerem Silberbesteck.